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Der Horror bei 9/10 – Was kann, darf, soll eine Filmkritik?

filmkritikFilmrezensionen, oder Filmkritiken, wie man sie auch gerne nennt, begleiten mich bereits seit ich mich für Filme interessiere. Angefangen über die in der Regionalzeitung abgedruckten Texte (meist von nicht-regionalen, freien Schreiberlingen), über die Inhaltszusammenfassungen inklusive Lobhudelei in den Textbeilagen zum Fastfood-Menü (meist via Copy&Paste aus den PR-Infos der Agenturen zusammengestückelt) bis hin zur oft unsachlich unsäglichen Kurzkritik in drei Zeilen plus Punktewertung die in sozialen Netzwerken gepostet werden.

Das Medium ist – wie so oft – egal. Der Text, die Rezension an sich muss etwas leisten können, egal wo er erscheint. Es ist vielleicht ein reiner Zufall, aber keineswegs unwichtig, dass ich schon in einer sehr frühen Phase meines unkoordinierten Hürdenlaufs durch die Medienwelt auf einen Vorgesetzten traf, der mir sagte: „Ich hasse Filmkritiker“.

Die augenscheinliche Autorität der Meinung

Das gab mir zu denken. Dieses Phänomen wird selten erwähnt, ist aber – so glaube ich – weit verbreitet. Wer lässt sich schon gerne sagen, was man gut finden soll? So werden Filmkritiker jedenfalls oft wahrgenommen, als leicht arrogante, eigentlich unqualifizierte Besserwisser, die an Lieblingsfilmen rummeckern und sogar gute Filme in ihrer Leistung schmälern wollen. Dabei kann, darf und soll der Kritiker nicht diktieren was dem Leser gefallen mag – auch wenn sein Ton das oft suggeriert.

Schnell ist man versucht, dem Kritiker zu unterstellen, dass er absichtlich alles schlechtfinden will, oder doch mindestens versucht überall etwas Negatives zu finden, statt den Film als solchen zu akzeptieren und zu versuchen ihn zu genießen. Nur ein abgrundtief bitterer Zyniker, jemand der vom Leben enttäuscht ist, kann fortweg solch bitterböse Kritiken schreiben, oder? Enttäuscht, nicht selbst Filme drehen zu dürfen, enttäuscht, dass niemand auf seine Meinung hört oder enttäuscht, weil selbst Jugendidole der cineastischen Geschmacksbildung mittlerweile Minderwertiges produzieren.

Manchmal stimmt das.

Aber all dies beantwortet nicht die einzig wichtige Frage, die sich jemand stellen sollte, wenn er eine Filmkritik verfassen will – vielleicht auch um es besser zu machen als bisher. Die Frage lautet: Was ist eine Filmkritik? Oder: was kann sie leisten, was nicht? Darüber könnte man wissenschaftliche Arbeiten von beträchtlichem Umfang verfassen. Ich möchte mich hier aber auf, meiner Meinung nach wesentliche und vor allem erfüllbare Aspekte beschränken.

Die Pflicht

Eine Filmkritik hat – unter anderem – eine rein sachliche Qualität, die es zu erfüllen gilt, einen informativen Dienstleistungsauftrag: Was für ein Film kommt in die Kinos, was ist die Handlung, das eventuell identifizierbare Genre, wer die Hauptdarsteller? Wer hat Regie geführt? Und so weiter und so fort. Dienstleistung. Langweilig. Notwendig.
Einzig die Zusammenfassung des Plots stößt hier bereits auf ein kleines Problem: Ab wann verrät der Kritiker zu viele Informationen? Wo hört Inhaltsangabe auf, wo fängt das „Spoilern“ (also das Verderben des Spaßes, der Überraschung) an?

Hierfür gibt es recht brauchbare Faustregeln. Alle Informationen, die der Trailer offensichtlicherweise bereithält, dürfen auch in einer Besprechung des Films wiederholt werden – alles andere wäre absurd. Auch die offiziellen Pressemappen des Films geben einen guten Einblick, sind jedoch manchmal mehr als zweifelhaft. Denn obwohl dort zum Teil die Stammbäume der Pferde des Make-Up-Artists zu finden sind, wird die Handlung manchmal so obskur zusammengefasst, dass man sich auf sein eigenes Gespür verlassen sollte.

Reicht diese informative Dienstleistung? Nein. Eine Filmkritik muss mehr leisten können, das suggeriert schließlich auch der Name. Dabei sind die Worte kritisch und Kritik jedoch nicht mit den Worten negativ und Schmähschrift zu verwechseln. Im Alltag erhalten sie zwar oft ausschließlich negativ wertende Konnotationen, aber eigentlich ist „kritisch“ hier eher als „hinterfragend“ oder „einordnend“ zu verstehen. Der Filmkritiker sollte mit seinem – hoffentlich – dem durchschnittlichen Kinogänger überlegenen Wissen (das kann auch darin bestehen, einfach jede Woche im Kino zu sein, viele Filme zu schauen – es muss kein Studium sein), dem nicht so gut informierten Leser einen Bezugsrahmen bieten. Ja, auch wertend sollte eine Filmkritik sein. Aber wieso?

Man kann Kunst nicht testen

Eines vorweg: Es geht nicht darum, dass der Kritiker mit einer Meinung, Einschätzung, Bewertung recht hat. Das kann er oder sie ja überhaupt nicht. Meinungen können zwar richtig sein, aber nur, wenn sie objektiv sachliche Dinge betreffen. Geschmackseinschätzungen hingegen sind immer richtig, da sie nur den Wertenden selbst betreffen, sie sind außerdem stetigem Wandel unterworfen. Nur, wieso schreiben Kritiker dann nicht einfach: „Ich fand’s doof, aber du findest es sicher toll.“.

Tun sie. Die Floskel für Fans des Genres… ist weit verbreitet und berüchtigt. Berüchtigt, weil sie für den Durchschnittszuschauer oft bedeutet: Finger weg. Dass ein Kritiker in seinen Texten nicht explizit von „seiner Einschätzung“ berichtet, hat zwei Gründe.
Rein ästhetisch und rhetorisch ist es einfach furchtbar nervig, wenn es ständig heißt „ich denke ja…“ außerdem wirkt es dominanter, oder sogar glaubwürdiger zu sagen: „So ist es.“
Nicht „Ich hatte den Eindruck Halle Berry war nicht so ganz bei der Sache“ bleibt beim Leser hängen, sondern „Ob Halle Berry die leiseste Ahnung hatte wobei es in ‚Catwoman‘ geht, oder  ob sie einfach nur die Gage einstreichen wollte, ist nicht bekannt“. Dieses Beispiel illustriert auch einen weiteren Punkt: Es macht viel mehr Spaß, eine Filmkritik zu lesen, die bei einem schlecht bewerteten Film ein wenig lästert als nur davon spricht, dass der Film enttäuschend war.

Wieso sollte ein Leser aber nun über den reinen Dienstleistungsbereich einer Filmkritik hinaus lesen? Was hat er davon? Rein sachlich geht es auch um eine Art Kaufempfehlung. Kinokarten, DVDs und Blu-rays kosten Geld und viele Menschen ärgern sich zurecht, wenn sie enttäuscht den Kinosaal verlassen und mittlerweile über zehn Euro in die Karten, viertausend Euro in die Knabbereien und eine Million Euro in die Anfahrt investiert haben. Auch ohne die Meinung des Kritikers vollständig zu teilen – denn dieser mag oft anders denken, oder andere Maßstäbe anlegen – kann eine Kritik hilfreich sein. Da es kaum sachliche Eigenschaften eines Filmes gibt, die man auf einen simplen Nenner hin abklopfen könnte, kann man einen Film jedoch nicht testen, wie bei anderen Produkten. Der berühmte Autotest hat sicherlich seine eigenen Probleme, aber Gewicht, Verbrauch Sitzplätze, Ladevolumen, PS, Höchstgeschwindigkeit – sehr viele relevante Eigenschaften sind messbar.

Der Filmkritiker gibt letztlich seinen Eindruck weiter, beschreibt wie er den Film gesehen hat und was er darüber denkt. Diese Subjektivität, auch wenn sie ihre Grenzen haben sollte (Kritiker mag Schauspieler X nicht – darüber sollte er hinwegsehen), ist essentiell und sollte nicht ignoriert werden. Es ist vollkommen legitim, wenn jemand die Besprechungen eines Kritikers als umgekehrte Empfehlungen wahr nimmt: „Wenn der Film ihm nicht gefällt, weiß ich, dass er etwas für mich ist.“ Es sollte niemanden überraschen oder ärgern, dass es Menschen mit einem anderen Filmgeschmack gibt.

Aber es gibt schlechte und gute Filme

Bei aller Friedfertigkeit, die ich hier predige, es gibt Fälle in denen man als Zuschauer wie als Kritiker einfach denkt, dass es niemanden geben kann der für – oder gegen – einen bestimmten Film argumentieren kann. Damit liegt man immer falsch, aber es gibt Filme in denen es einen beinahe vollständigen Konsens gibt. Ich werde jederzeit meine Abscheu für „Catwoman“ oder „Alone in the Dark“ nicht nur betonen, begründen und verteidigen sondern auch klarstellen: Diese beiden Filme sind indiskutabel schlecht. Dennoch, beide besitzen auch gute Aspekte. Die Beleuchtung in „Catwoman“ war ganz gut und der Mantel von Christian Slater in „Alone in the Dark“ war recht schick. Bei diesen Grenzfällen wird die Diskussion dann gerne einmal hitzig. Wichtig ist, dass man es schafft zuzugeben, dass Filme die in vielerlei Hinsicht „schlecht“ sind, einem dennoch gefallen können – manchmal gerade weil sie so schlecht sind – und, dass man verschiedene „gute“ Filme nicht mag, eventuell, weil man eine persönliche Aversion gegen einen der Darsteller hat.

Wie schwer es ist, die Balance zwischen einer fairen Besprechung, zwischen objektiver Einschätzung und persönlichem Empfinden (das nunmal zwingend einfließen muss) zu halten, hat mir in den vergangenen Jahren immer wieder die Welt der Computerspiele gezeigt. Ich war in den Neunziger Jahren leidenschaftlicher Leser der PC Player und habe auch Jahre danach noch verfolgt, was Heinrich Lenhardt und Boris Schneider-Johne zur Spielewelt zu sagen haben. Gerade Schneider-Johne überdachte die Bewertung der Spiele-Tests mehrfach und setzte in der PC Player irgendwann eine Fünf-Sterne-Wertung anstatt der üblichen Prozentskala um.
Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass Computerspiele, besonders zu der damaligen Zeit, bis zu einem gewissen Grad wirklich testbar waren, da es auch um Kompatibilität und Programmstabilität ging und auch bei vielen Details die handwerklichen Fähigkeiten der Programmierer recht leicht als „gut“ oder „schlecht“ zu beurteilen waren. Aber das machte kaum das Spiel aus. Ein perfekt programmiertes Spiel kann immer noch ganz großer Mist sein, ein in Idee und auch Umsetzung brillantes Spiel wird jedoch schnell verhunzt, wenn das Spiel alle zehn Minuten abstürzt oder auch nur der Sound aussetzt.

Dennoch sind alle Zahlenwertungen, egal welcher Skala, eigentlich unnütz. Sie verschaffen einem Bauchgefühl Luft (in gewisser Weise ein Aufstoßen) und geben doch vor, eine fast wissenschaftliche Wertung zu sein, da es sich eben um Zahlen handelt. Mir fällt dazu unwillkürlich ein stereotypes Gespräch mit einem beliebigen Mathematik-Lehrer ein: „Das Ergebnis lautet?“ „Fünf.“ „Fünf was? Äpfel?“.
Wenn ich mir einen Eindruck darüber verschaffen wollte, wie gut oder schlecht ein Spiel ist, las ich in der Hauptsache die kleinen Meinungskästen der einzelnen Redakteure. Wieso? Weil ich diese und ihre Vorlieben kannte. Wenn beispielsweise ein Sportspiel einen Sportspielhasser begeistert, ist es vermutlich ein besonders interessanter Titel.

Meine Ablehnung gegen Zahlenwertungen ist weit bekannt. Ja, ich rege mich tatsächlich auf, wenn ich irgendwo im Netz auf „Unterhaltsamer Spaß, etwas langsame zweite Hälfte, gute Darsteller, 6,5/10“ lese. Einerseits weil ich der Meinung bin, wenn das alles ist, was ich über einen Film zu sagen habe, dann war er weder unterhaltsam, noch spaßig, andererseits weil ich nach dem Lesen dieser „Review“ nur wenig mehr weiß als vorher. Im Alltag  entspricht eine solche Aussage einem „Ich fand den Film OK.“ worauf in der Regel ein längeres Gespräch folgt, das erläutert weshalb man den Film OK fand. Ich bin zwar niemandem böse, der solche Kurzkritiken schreibt – genausowenig wie ich jemanden verabscheue, der Zahlenwertungen benutzt – aber ich glaube nicht, dass sie konstruktiv sind. Sie führen dazu, dass Menschen nur noch diese lesen und sich dann, wenn sie nicht mit der Wertung einverstanden sind, fragen, wieso die Wertung so hoch oder niedrig war. Vielleicht hätte man die Kritik lesen sollen?

Als ob du es besser hinkriegst

Was dieser ewig lange Text uns sagen will ist: Ich bin kein Freund von Zahlenwertungen und möchte Filmkritiken über ihren Dienstleistungsteil (der nun wirklich extrem öde sein kann) hinaus lesenswert und hilfreich gestalten. Das bedeutet zum Einen natürlich, dass ich mich beim Verfassen zumindest ein wenig anstrengen sollte. Zum anderen bedeutet das, neue Ansätze zu verfolgen. Jeder Film verlangt in unterschiedlicher Intensität, nach seiner eigenen Kritik. Der Plot von „Stirb Langsam“ lädt nur bedingt zu einer Interpretation und Analyse ein, während es gleichzeitig wenig sinnvoll ist, sich über die historische Genauigkeit von Mel Brooks „Robin Hood – Männer in Strumpfhosen“ auszulassen. Aber jeder Film will auch in einen Kontext gesetzt werden: Wieso finde gerade ich den besprochenen Film so gut, schlecht, witzig oder langweilig? Unter welchen Umständen habe ich ihn angeschaut? Was wäre die ideale Situation, was die schlimmste Umgebung um den jeweiligen Film zu genießen? Diese Fragen sollten möglicherweise ebenfalls geklärt werden, wenn über einen Film geredet wird, denn sie machen die Kritik verständlicher und – hey Modewort! – transparenter. Denn eine Filmkritik sollte den besprochenen Film in einen Kontext setzen und damit den Diskurs über selbigen erleichtern.

Ich werde versuchen dies bei meinen Texten hier zu beherzigen und ein wenig damit experimentieren. Ein gutes Beispiel, wie so etwas aussehen kann, findet sich in den Filmkritiken von Kollege Christoph Mathieu, der in seinem chronisch unterlesenen Blog Nullkommazwei unregelmäßig auch Filme rezensiert.

Mehr über Sinn und Unsinn, über gerechtfertigte und fragwürdige Kritik wird es hier auch künftig geben.

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3 Reaktionen

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  1. Christoph Mathieu says

    Vielen Dank für den Link! Bei nächster Gelegenheit verlinke ich zurück! Und unterlesen ist mein Blog tatsächlich. Aber auch unterfüttert.
    By the way: Tolle Zusammenfassung über den Sinn und Unsinn von Filmkritiken!

  2. Wilhelm says

    Hallo,
    ich bin schon seit einer Weile regelmäßiger Kuh-Hörer und freue mich, nun zu sehen, dass Sie hier auch noch so ein Extrablog angelegt haben, da ich schon den Podcasts gemerkt habe, dass mir ihr Film- und sonstiger Mediengeschmack sehr zusagt.
    Auch ihre meisten Filmkritiken. Sei es letztens Man of Steel oder auch kleinere deutsche Filme. Meine 2 Cent zu dem Thema. Größtenteils stimme ich Ihnen zu, nur entspricht ihr Wunsch nach Struktur (vorstellung der Story, eigene Meinung) nicht meiner Auffassung einer möglichen Filmkritik. Mittlerweile habe ich da viel freiere Ansätze gefunden. Interesse an Filmen kann auch geweckt werden, ohne etwas von der Handlung preiszugeben. mit der Beschreibung einer Szene, mit dem Gefühl, dass diesen Film begleitet. Gerade das mag ich ja an der Filmkritik. Es ist eine ganz eigene Schreibkunst mit unendlich vielen Ansätzen. Umso trauriger, dass sich irgendwie nur die Art der generischen Handlungswiedergabe und der hochnäsigen Dekonstruktion im Feulliton durchzusetzen scheinen. Naja, ich freue mich mehr von Ihnen zu lesen.
    Viele Grüße

    • Herr Hammes says

      Danke für den netten und extrem konstruktiven Kommentar!

      Ich kann Deine(/Ihre?) Standpunkte völlig unterschreiben. Der „Pflichtteil“ der Filmkritik, in der — eben immer in unterschiedlichen Maße — auf die Story eingegangen wird, richtet sich, meiner Meinung nach, vor allem an zwei Lesertypen: Diejenige, die was neue Filme völlig unterinformiert sind und diejenigen die eben genau diese Informationen einfach erwarten und möchten. Ich denke, wenn man geschickt schreibt, kann man dies entweder so einweben, dass es nicht stört, oder so vorschalten, dass die Textformation schon klar macht, wo es um Inhalt geht und ab wann nur noch um das Besprechen des Films.

      Grüße zurück :)